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Zurück zum Ursprung als Weg aus der Corona-Misere?

Beim 5. eCommerce Logistik-Day 2020 Mitte September – als Premiere erstmals virtuell statt vor Ort – stand wie bei so Vielem im Moment das Thema Corona im Mittelpunkt. Ganz ohne Verschwörungstheorien oder typisch österreichisches Jammern, dafür mit kreativen Lösungsansätzen und Prognosen. Motto: „Neue Trends in der Logistik nach Corona! Erfahrungen aus der weltweiten Pandemie verändern Logistik Konzepte der Zukunft.“

Redaktion: Angelika Gabor.

Der 5. eCommerce Logistik-Day war definitiv anders als seine Vorgänger. Aber anders heißt nicht zwangsläufig schlecht. Wenige ausgesuchte Vortragende mit ausreichend Abstand und hunderte Teilnehmer vor den Bildschirmen, die quasi vom Sofa aus brandaktuelle Erfahrungsberichte hautnah erleben konnten. Schnell wurde klar: in jeder Krise gibt es Gewinner. Bei Corona sind es nicht nur die Maskenhersteller und Desinfektionsmittelproduzenten – laut Statistik gab es im Lockdown immense Zuwächse bei Jogginghosen und IT-Sicherheit.

Paketdienstleister erlebten Auftragsvolumina wie zu Ostern und Weihnachten zusammen. Jeff Bezos kann sich vom zusätzlichen Umsatz nur eines einzigen Tages gleich mehrere Modelle seines Lieblingsfahrzeuges Bugatti Veyron Mansory (Listenpreis 2,9 Mio Euro) in die Garage stellen. Dem gegenüber stehen Branchen mit Totalsperren und 100 Prozent Umsatzverlust. Was also tun, wenn nicht mal Kurzarbeit sinnvoll erscheint? Bernd Kratz, Gesellschafter des Instituts des Interaktiven Handels, berichtete von einem Fall, wo ein von den Schließungen betroffenes B2B Unternehmen seine Mitarbeiter an ein anderes Unternehmen verlieh, dem aufgrund der Grenzschließungen die Mitarbeiter fehlten. Positiver Nebeneffekt: die Mitarbeiter behielten ihren Job und beiden Unternehmen war geholfen.

Neue Wege: Sicherheit und Effizienz.
Krisen sind immer auch ein Beschleuniger: Unternehmen an der existenziellen Kippe verschwinden schneller vom Markt, Entwicklungen gehen rascher von statten. Abstandsregeln beispielsweise führten zur besseren Akzeptanz (da Notwendigkeit) von kontaktloser Zustellung – die davor oft noch undenkbar gewesen wäre. Auch hier kennt Kratz ein Praxisbeispiel: „Dank neuem System konnte ein KEP-Dienstleister die letzte Meile um 30 Prozent effizienter machen. Statt dass der Fahrer kommt und seine Pakete sortiert, übernimmt er ein voll beladenes Fahrzeug und betritt das Gebäude gar nicht mehr. So steigt nicht nur die Sicherheit vor Ansteckungen, der Ablauf wird auch beschleunigt.“

In der Krise kommt es häufig zu operativer Hektik, mangels Mitarbeitern möchten viele Unternehmen schnell automatisieren. Doch hier warnt Kratz eindringlich vor Schnellschüssen: „Ehe man Prozesse automatisieren kann, müssen sie optimiert werden.“ Schlechte Abläufe zu automatisieren ist vergebene Liebesmüh‘ und schade ums Geld.

Lokal statt global?
Ein Trend, der sich in diesem Jahr deutlich abgezeichnet hat, ist eine klare Regionalisierung. Die Devise: Sicherheit und Lieferfähigkeit sind wichtiger als die reinen Kosten. Die Supply Chain wird überdacht: regionale Beschaffung gewinnt wieder an Bedeutung, da internationale Transporte unter den Grenzschließungen und Ausfällen leiden. Und auch beim Endverbraucher kommt es zum Umdenken, weiß Rainer Will, CEO des Österreichischen Handelsverbands: einer Umfrage zufolge achten zwei Drittel der Kunden auf Regionalität.

Will verwies auf eine Initiative, die Bernd Kratz‘ Beispiel ähnelt: unter dem Titel „Händler helfen Händlern“ verliehen Unternehmen aus dem geschlossenen Non-Food-Handel temporär Arbeiter und Angestellte an den Lebensmittelhandel, um Arbeitsplätze zu sichern.

„Es findet eine starke Umverteilung hin zu e-Commerce statt. Gleichzeitig gehen 85 % der Händler von einem Umsatzverlust im heurigen Jahr aus, nur 13 % planen einen Mitarbeiterausbau.“ Zwar liegen die Insolvenzen momentan noch im Durchschnitt – allerdings wird das bei Inkrafttreten der aktuell ausgesetzten Insolvenzkriterien stark ansteigen. Besonders betroffen: der Fashionbereich. „Durch das Ausbleiben von Touristen und das Absagen von Veranstaltungen liegt das Minus in dem Bereich bei 55 bis 62 %“, so Will. Klar – ohne Ballsaison kauft auch keiner ein Ballkleid. Schon vor der neuerlichen Maskenpflicht gingen die privaten Haushaltsangaben in Österreich um 15 Milliarden zurück – Summen, die nicht mehr aufgeholt werden können. Eine Initiative des Handelsverbands zur Schaffung von Webshops soll dem entgegenwirken – immerhin liegt die Prognose beim Online-Lebensmittelhandel bei einem Plus von 29%.

Logistik wird grüner.
Innovative Logistikkonzepte für den Onlinehandel sind eines der Steckenpferde von Thomas Kaiser, SSI Schäfer Sales Manager Food Retail. „In der Krise hat sich einmal mehr gezeigt, dass Logistik systemrelevant ist“, weiß er. Das Lager spielt dabei eine wesentliche Rolle, schließlich soll sein Footprint so klein wie möglich bei maximaler Leistung sein. Da manuelle Kommissionierung personal- und zeitaufwändig ist, kommen beispielsweise fahrerlose Transportsysteme (FTS) als flexible Lösung zum Einsatz. „Es ist besonders wichtig, die Kosten pro Einheit zu reduzieren. Nachhaltigkeit in der Intralogistik mit Fokus auf Energieeffizienz im gesamten Gebäude – beispielsweise durch Isolierung und LED-Beleuchtung – werden immer wichtiger. Weiteres Schlagwort: „green crane technology“, beispielsweise durch den Ersatz eines Kettenförderers durch eine Rollenbahn, um Energie zu sparen oder „green IT“ mit predictive forecasting.

Lieferketten absichern als Fokus.
Dr. Max Winkler, Vice President Product Development Supply Chain Solutions bei Dematic brachte es auf den Punkt: „Die Covid-19-Krise ist ein Weckruf hinsichtlich der Absicherung von Lieferketten angesichts Werks-, Lager- und Grenzschließungen. Gleichzeitig ist sie der Durchbruch im Bereich Lebensmittel für e-Commerce.“ Das Motto ist daher klar: „second region statt second source“.

Als Konsequenz aus der Krise sah auch er eine verstärkte Regionalisierung inklusive Aufbau regionaler Läger. „Man braucht nun Puffer bei Beschaffung UND Absatz“, betonte er. Seiner Meinung nach wird auch nach ausgestandener Krise zumindest ein Absatzweg dauerhaft online sein müssen, und zwar nicht nur bei Herstellern, sondern auch bei Händlern. Winkler geht davon aus, dass in Zukunft Kooperationsnetzwerken zur Effizienzsteigerung größere Bedeutung zukommen wird – und zwar zwischen Handel, Transporteuren und Lager. Gleichzeitig steige der Bedarf an Flexibilität und skalierbaren Lösungen. Viele der Kunden, die im ersten Halbjahr zum Onlineeinkauf gezwungen waren, haben Gefallen daran gefunden und bleiben dabei. Für ihn ist die Automatisierung ein nötiger Teil der Resilienz: „Roboter bekommen kein Covid-19“. Daher sei auch die Hälfte der KION Angebotsflotte als FTS erhältlich.

Winkler rechnet mit einer deutlichen Markt-bereinigung, insbesondere bei Kleidung: „Es werden dadurch Flächen frei für neue Nutzer. Beim Food-e-Commerce gibt es einen Trend hin zum Micro-Fulfillment, kleine Läger direkt beim Kunden“. In den USA werden aktuell geschlossene Einkaufszentren als Lagerflächen genutzt. Je nach regionaler Begebenheit müssen neue, dezentrale Konzepte geschaffen und umgesetzt werden. Vor allem auch, um die gestiegen Kundenerwartung zu befriedigen. Und hier sind wir wieder beim eingangs erwähnten Nutznießer, an dem sich alles misst: „Amazon setzt die Standards, und wer erfolg-reich sein will, muss da mithalten“, so Winkler, der gleich einen weiteren brandaktuellen Schwerpunkt nennt: Cybersecurity. Durch Homeoffice stiegen nämlich nicht nur Fernabsatz und Internetdatenvolumen, sondern auch bösartige Hackerattacken und Cyberkriminalität erlebten einen Boom, der noch lange nachwirkt.

Insgesamt war die Stimmung beim 5. eCommerce Logistik-Day gut und die Sprecher wirkten durchaus optimistisch, dass uns zwar die Pandemie noch eine Zeit begleiten wird, trotzdem aber eine gewisse Normali-tät einkehren wird – wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Flexibilität, Resilienz,
Volatilität; Das sind die Schlagworte, die das Handeln und den Handel der Zukunft bestimmen. Die Logistik war schon immer ein Chamäleon und wird sich auch jetzt an alles anpassen.

2021 wird dann der 6. eCommerce Logistik-Day über die Bühne gehen, das steht fest – in welcher Form, steht allerdings noch in den Sternen. Lassen Sie sich überraschen. (AG)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 5/2020

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