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Retail isn’t dead…

„Retail verändert sich, und damit auch der Standort Österreich“, so leitete Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des österreichischen Handelsverbands den TAG DES HANDELS 2019 ein, der mit 200 Besuchern an den Erfolg der letzten Jahre anknüpfte. „Vernetzen Sie sich, lernen Sie von den Besten und haben Sie keine Angst vor der Zukunft“, appellierte Mayer-Heinisch an die Teilnehmer, bevor er das Wort mit seinem neuen Motto „Retail isn’t dead – boring Retail is dead“ an Rainer Will übergab.

Beitrag: Redaktion.

Ein erstes Highlight war das mit Spannung erwartete Polit-Podium mit hochrangigen Vertretern der sechs bundesweit zur Nationalratswahl antretenden Fraktionen – Therese Niss (ÖVP), Christoph Matznetter (SPÖ), Reinhard Pisec (FPÖ), Karin Doppelbauer (Neos), Bernd Nussbaumer (Liste Jetzt) und Michel Reimon (Die Grünen).

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will moderierte die Podiumsdiskussion und übergab den sechs Spitzenpolitikern bei dieser Gelegenheit auch gleich das Bürokratiepapier des Handelsverbandes,  welches gemeinsam mit allen Händlern entwickelt worden war.
Die Nationalratsabgeordnete Therese Niss, ÖVP-Bereichssprecherin für Digitalisierung, Forschung & Innovation, gab als wichtigstes Ziel eine weitere Senkung der Steuer- und Abgabenquote, der KÖSt und der Lohnnebenkosten aus. Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels setzt sie insbesondere auch mehr Bildung bzw. Weiterbildung. „Wir brauchen innovativere Schulen, es darf niemand die Schule verlassen, der nicht zumindest lesen und schreiben kann“, so Niss.

Der Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes und SPÖ-Nationalratsabgeordnete Christoph Matznetter gab ebenfalls das Steuerthema sowie eine Stärkung der KMU als oberste Priorität aus. „Die Steuerspirale nach unten muss endlich aufhören! Hier braucht es ein resolutes Vorgehen“, so der Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich.

Bundesrat Reinhard Pisec, Industriesprecher der FPÖ, bedankte sich zunächst beim Handelsverband für den erfolgreichen Kampf für mehr FairPlay und gegen unfaire Geschäftsbedingungen auf dem Amazon Marketplace. Er forderte eine faire Besteuerung internationaler Tech-Giganten und mehr Steuergerechtigkeit. „Wir müssen die Steuersätze für heimische Betriebe senken, damit die Steuerbelastung in Österreich im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig wird“, so Pisec.

Die Neos-Nationalratsabgeordnete und Bio-Bäuerin Karin Doppelbauer legte den Fokus auf das Neos-Kernthema Bildung.  „Bildung ist entscheidend für unseren künftigen Wohlstand“, so die Sprecherin für Budget, Landwirtschaft & Konsumentenschutz. Sie forderte auch flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen sowie das deutsche 3+2 Modell im Bereich der Lehre für Asylwerber. „Die Überarbeitung der Gewerbeordnung sowie die Abschaffung der Kammerpflicht sind für uns ebenfalls Kernthemen“, versicherte Doppelbauer.

Der Ökonom Bernd Nussbaumer von der Liste Jetzt forderte u.a. eine rasche Entlastung des Faktor Arbeit sowie der heimischen KMU. Zweiter wichtiger Punkt war die Einführung der digitalen Betriebsstätte – v.a. um Steuergerechtigkeit für die Amazons und Alibabas der Welt sicherzustellen. „Steuern sollten dort entrichtet werden, wo auch der Umsatz anfällt“, so Nussbaumer. Als drittes Kernthema gab der gebürtige Oberösterreicher die Innovation an: „Wir müssen stärker in nachhaltige Technologien investieren!“

Der ehemalige EU-Abgeordnete Michel Reimon (Die Grünen) bewertete Steuersenkungen hingegen als kontraproduktiv, da damit lediglich ein EU-weiter Steuerwettlauf nach unten befeuert werde. Was die heimischen Händler von einer Regierungsbeteiligung der Grünen erwarten dürfen? „Wenn Sie möglichst billigen Ramsch aus dem Ausland importieren und verkaufen wollen, dann werden Sie mit den Grünen keine große Freude haben. Wir wollen Händler fördern, die auf heimische Zulieferer setzen“, so Reimon. Grundsätzliche Einigkeit herrschte bei den sechs Polit-Profis in puncto Verschlankung der Kammerstrukturen. Auf eine möglichst rasche Abschaffung der Mietvertragsgebühr konnten sich alle Parteien mit Ausnahmen der Grünen einigen.

Als Händler sichtbar sein
Google Maps-Experte Til Kreiler & Matthias Zacek, Head of Business Development bei g-Xperts.net, erläuterten in ihrer gemeinsamen Keynote die zentrale Bedeutung von Business Location Services als Erfolgsfaktor im Handel. Aktuelle Standortdaten in Google Maps sind das A und O, um als Händler mehr Traffic zu generieren. Omnichannel lautet das zentrale Zauberwort, insbesondere die positiven Effekte von digitalen Touchpoints auf den stationären Geschäftserfolg. „Mehr als die Hälfte aller stationären Umsätze sind mittlerweile digital beeinflusst“, bestätigte Zacek.

Logistik: Zukunftsmarkt Zentral- & Osteuropa?
Joerg Kreindl, Senior Director Industrial and Logistics CEE & SEE bei CBRE, sprach in seiner Keynote über das Trend-Thema Logistik-Immobilien in Zentral- und Osteuropa (CEE). „Logistik und Office sind jene Asset-Klassen, in welche in Europa derzeit am liebsten investiert wird. Retail nimmt hingegen ab“, sagte der Experte. Ob die Logistik bald zum Freiwild für Investoren aus Asien werde? „Alibaba kommt stärker auf den Markt, aber auch viele andere asiatische Investoren werden immer aktiver“, so Kreindl.

Smarte Telecom-Daten für den Handel.
Telekom-Urgestein Michael Reutterer, Head of IoT & Big Data Sales bei Magenta Telekom, ist ein absoluter Profi, wenn es um den Aufbau neuer Geschäftsfelder für den Businesskunden-Bereich geht. Sei aktuelles Lieblingsthema: Footfall Analytics – die Generierung von relevanten Daten aus der Smartphone-Nutzung für den Handel.  Er hatte u.a. sechs Erfolgsstories im Gepäck, von Werbemaßnahmen, Eventmarketing und Zielgruppen über Standortentscheidungen und Einzugsgebiete bis hin zur Performance-Messung. Etwaige datenschutzrechtliche Bedenken seien unbegründet: „Alles was wir analysieren, entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Alle Daten bleiben in Österreich im Datencenter. Alle Daten werden anonymisiert“, versicherte Reutterer.

Der österreichische Handelspreis 2019 geht an… Günther Helm!
Im Rahmen des Tag des Handels wurde auch die höchste Auszeichnung des heimischen Handels verliehen, der Österreichischen Handelspreis. Der niederösterreichische Handelsmanager Günther Helm wurde heuer für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der studierte Jurist Günther Helm war insgesamt 15 Jahre lang für den Lebensmitteleinzelhändler Hofer tätig, davon 8 Jahre lang als Generaldirektor und CEO der Hofer KG. Mitte 2019 übernahm er die Funktion des Geschäftsführers bei der deutschen Drogeriekette Müller.

„Es freut mich wirklich sehr, heute hier auf der Bühne zu stehen und den Österreichischen Handelspreis entgegenzunehmen. Dies ist für mich eine große Motivation, mein Engagement für den Handelsstandort Österreich mit aller Kraft fortzusetzen, auch von Deutschland aus. Herzlichen Dank für diese großartige Auszeichnung auch an den Handelsverband, der sich zur Speerspitze unserer Interessenvertretung entwickelt hat“, so Günther Helm in seiner Rede.

„Günther Helm hat weit über den Tellerrand der Branche geblickt und die gesamte Lebensmittel-Wertschöpfungskette durch aktive Beiträge nachhaltig geprägt. So wissen die wenigsten, dass er der gedankliche Gründungsvater der erfolgreichen Initiative ‚Land schafft Leben‘ ist“, hob Rainer Will in seiner Laudatio hervor.

Qualität „Made in Austria“
Welche Potenziale gibt es in der Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und LEH? Diese Frage stand im Zentrum einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion mit Handelsverband-Vizepräsident Frank Hensel, Josef Moosbrugger, Präsident der österreichischen Landwirtschaftskammer, Wirtschaftsjournalist Hanspeter Madlberger und Hannes Royer, Gründer der Initiative Land schafft Leben.

Die heimische Landwirtschaft könne schlicht nicht mit den Weltmarktpreisen mithalten, eröffnete Josef Moosbrugger die Diskussion, das liege insbesondere an den strukturellen Bedingungen. „Wir spüren ganz stark, dass die Anforderungen an die heimische Landwirtschaft in der Produktion erhöht werden. Aber wenn dann ein Produkt in Österreich plötzlich nicht mehr verfügbar ist, werden minderwertige Produkte aus dem Ausland importiert. Daher braucht es eine Herkunftskennzeichnung“, forderte der LKO-Präsident. „Wir brauchen keine Fleischsteuer, sondern Kostenwahrheit. Nur so werden regionale Produkte wieder wettbewerbsfähiger.“

Der Handel habe grundsätzlich kein Problem mit einer verpflichtenden Lebensmittelkennzeichnung, der große Widerstand komme vielmehr von der Industrie und der Gastronomie, entgegnete Handelsverband-Vizepräsident Frank Hensel. „Eine Partnerschaft funktioniert nur, wenn beide Seiten davon profitieren. Genau so ist es bei der langfristig gewachsenen Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel“, so der langjährige Vorstandsvorsitzende von Rewe.

„Unser gemeinsames Interesse – die Wertigkeit unserer Lebensmittel – müsste alle in der Produktions- und Lieferkette vereinen, auch die Politik. Wir müssen anders arbeiten als der Weltmarkt. Diesen Weg des Anderssein müssen wir gemeinsam durchsetzen, dann können wir auch in Zukunft erfolgreich sein.“

Der freie Wirtschaftsjournalist Hanspeter Madlberger, Doktor der Handelswissenschaften und seit über 40 Jahren ein fundierter Branchenkenner, relativierte die angebliche „Marktmacht“ der führenden heimischen Lebensmitteleinzelhändler. „Die Marktmacht des Handels wird sehr gern mit Marktanteilen in Verbindung gebracht.

Seitens der Landwirtschaft gibt’s da ein sehr einseitiges Framing. Realistischerweise geht es aber nicht nur um den Lebensmitteleinzelhandel, sondern auch um den Großhandel, um Convenience-Formate und vor allem auch um die Gastronomie, um Fleischer und Bäckereien. Wir müssen schauen, wohin die Produkte der Landwirtschaft fließen. Und da ist der LEH eigentlich sekundär“, so Madlberger.

„Wir haben Konsumenten, die Bio- und Nachhaltigkeit in der Theorie gut finden, aber in der Praxis des täglichen Einkaufs leider oft zum Billigprodukt greifen“, bedauerte Hannes Royer, Gründer der unabhängigen Initiative Land schafft Leben, die allgegenwärtige Billig-Mentalität. Sein Ziel: die Konsumenten darüber aufzuklären, wie Lebensmittel heute tatsächlich entstehen – fernab vom Kitsch der TV-Werbung. „Wenn wir unseren Lebensmitteln keine Wertigkeit mehr geben, wird es auch für die heimischen Bauern immer schwerer. Und wir zerstören damit unsere eigene Lebensgrundlage“, so Royer. Aber auch die Gastronomie sei gefordert: „Als Konsument habe ich im Gasthaus das Recht zu erfahren, woher das Schnitzel auf meinem Teller eigentlich herkommt.“

20 Slides à 20 Sekunden.
Im Pecha Kucha Format präsentierten sich die Ottakringer Brauerei, ecosio, Loomis, Kastner & Öhler und ACL advanced commerce labs. Den Anfang machten Philip Liegl, Gründer von ecosio, und Roland Feichtenschlager, der als SAP-Teamlead der Ottakringer Gruppe u.a. für die Weiterentwicklung der betriebskritischen ERP-Systeme und deren Support verantwortlich zeichnet. Das Thema: Vom Tank zum Tisch – EDI in der Getränkeindustrie am Beispiel einer Wiener Traditionsbrauerei.

Im Anschluss sprach Michael Marschner von Loomis über eines der Lieblingsthemen von Frau und Herr Österreicher: Bargeld. Der „LOOMIS SafePoint“ – ein digitalisierter Safe, der den stationären Händel bei seinem Cash Management unterstützt – verbindet nämlich eine physische Bezahlung mit den Vorteilen der Digitalisierung. Knapp 40.000 Händler weltweit nutzen das Gerät bereits.

Last but not least sprachen Gernot Ortoff, Head of Online Marketing & eCommerce bei Kastner & Öhler, und Andreas Pesenhofer, CEO der ACL advanced commerce labs, über das hochspannende Omnichannel-Projekt von Kastner & Öhler. Beim 1873 gegründeten Einzelhandelsunternehmen Kastner & Öhler gelang der Aufbau der E-Commerce Sparte sowie die Systemumstellung auf Omnichannel fast wie im Lehrbuch – eine echte Erfolgsgeschichte made in Austria.

Startup Session.
Den traditionellen Abschluss des Standorttages bildete die hochkarätige Startup-Session. Die Gründer Joerg Hauke (Founder & CFO, Saturo), Julian Juen (Founder & CEO, Urban Food & Beverage), Moritz Lechner (Founder & CEO, Freebiebox), Elke Pichler und Emanuel Riccabona (Co-Founder Impactory) und Lukas Snizek (Founder & CEO, QuickSpeech) pitchten live on stage.  Die Moderation übernahm Werner Wutscher, Founder und Geschäftsführer von New Venture Scouting (NVS) und Leiter des Handelsverband-Circles „Omnichannel & Innovation“. „Es geht um neue Lösungen. Wir haben spannende Startups auf der Bühne. Sie brauchen aber auch ein offenes Mindset“, appellierte Wutscher an die Besucher.

Beste Unterhaltung mit den Comedy Hirten & Philip Keil.
Stand up Comedy war gestern. Die Comedy Hirten – Österreichs erste Start-up Comedy – versprachen dem Publikum zwei Millionen Gags in zwei Minuten. Was sollen wir sagen, sie hielten Wort und sorgten für ein Feuerwerk an großartigen Parodien.

Pilot, Trainer, Sachbuchautor, Luftfahrtexperte… wenn es den Begriff „Universalgenie“ nicht schon gebe, man müsste ihn für Philip Keil erfinden. Deutschlands bekanntester Pilot fesselte die Besucher zum Abschluss eines ereignisreichen Nachmittags mit unglaublichen Erlebnissen und wertvollem Expertenwissen. Er sprach über Themen, die auch am Boden über Crash oder Punktlandung entscheiden: Wie führe ich mich und mein Team, wenn es turbulent wird? Was macht eine perfekt eingespielte Crew aus? Prädikat: wertvoll!

Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, unterstrich am Ende der Veranstaltung nochmal die Schwerpunktsetzung des Verbandes in den Bereichen Retail und Logistik, und bedankte sich bei den mehr als 200 Besuchern. Nach dem offiziellen Teil des TAG DES HANDELS blieb den Gästen noch ausreichend Zeit für ausgiebiges Networking. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 4/2019

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