Omnichannel als Maß aller Dinge

Im Internet finden und in der Filiale abholen. Oder aus dem Onlineshop geliefert bekommen und im stationären Handel umtauschen. Kunden sind bequem und umfassende Serviceleistungen spiegeln sich in Bewertungen wieder – dem Kapital der Zukunft.

Redaktion: Angelika Gabor.

Wie aus den Ergebnissen der Omnichannel Readiness Studie (ORI) 2019 des Österreichischen Handelsverbandes hervorgeht, nimmt die Verzahnung der Handelskanäle spürbar zu. Die in der ersten Ausgabe der Studie im Jahr 2018 aufgezeigten Lücken zwischen Kundenwunsch und Realität sind erfolgreich verschlossen worden. Sehr zur Freude von Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will: „Der ORI ist Werkzeug für den österreichischen Handel, ein Leitfaden und Fahrplan mit konkreten Empfehlungen für künftige Entwicklungen und Investitionen – für den gesamten Markt, vom KMU-Händler bis zum großen Handelsunternehmen.“ Schwächen gibt es vor allem noch bei Filtermöglichkeiten der Suchergebnisse in den Online-Shops nach Filialverfügbarkeiten und bei Track & Trace-
Optionen.

Stolze 85 Prozent der Konsumenten führen vor einem geplanten Kauf eine Online-Recherche durch – um Preise, aber auch Produkte zu vergleichen. Da scheint es wenig verwunderlich, das fast zwei Drittel (62 Prozent) der stationären Käufe ebenfalls digital beeinflusst sind. Laut Internet World Stats nutzten im Jahr 2018 rund 7,7 Millionen Österreicher das Internet, davon kauften rund 60,3 Prozent im Alter von 16 bis 74 Jahren online ein – in der Altersgruppe der 16 bis 24-Jährigen waren es sogar 82 Prozent, Tendenz steigend.

Mehr als vier Fünftel aller Internetanwender gehen bereits von einem Smartphone oder Tablet aus online (vgl. statista.com, Anteil der Online-Käufer an der österreichischen Bevölkerung von 2010 bis 2018). Dieses weiter steigende Potential liegen zu lassen, kann sich kaum ein stationärer Händler leisten.

Von den 45 befragten Händlern haben im Jahresabstand alle ihren ORI-Index steigern können, wobei der Lebensmittel-Einzelhandel und die Fashion-Branche am meisten Zuwächse verzeichneten. Gesamtsieger des Vergleichs waren der Sporthändler Gigasport (ORI-Indexsteigerung von 60 auf 78 Prozent) und das Modelabel Esprit, gefolgt von Kastner & Öhler gleichauf mit Hornbach (77,7%) sowie Bipa auf Platz drei mit 77,3%. Diese Unternehmen schaffen es besonders gut, mit ihren Angeboten die Menschen sowohl online, als auch im stationären Handel abzuholen und so auch zu binden. Doch auch hier gibt es noch Luft nach oben. Neben genereller Gratislieferung – die eine große wirtschaftliche Herausforderung darstellt – wünschen sich besonders viele Konsumenten die Anzeige der Produktverfügbarkeit in einer gewünschten Filiale und im Kontext die Filteroption nach der Wunschfiliale.  Die Angabe (und Einhaltung) eines konkreten Liefertermins ist ebenso ein dringlicher Wunsch, der aktuell nur selten erfüllt wird.

Ökonomisch sinnvolle Lieferung.
Amazon hat es vorgemacht: die Gratis-Lieferung. Ursprünglich nur für Bücher ab 20 Euro, nunmehr ab 29 Euro – selbst bei wertvollen Gegenständen verleiht manchmal der Hinweis auf kostenlosen Versand den letzten Schub bei der Kaufentscheidung. Im harten Preiskampf und bei sinkenden Margen ist insbesondere für KMU eine kostenfreie Zustellung oftmals nicht rentabel. Hier bietet sich das „Click & Collect“ an: online aussuchen/kaufen, in der Filiale abholen. Alternativ wäre ein Abomodell denkbar, wie Amazon prime es mit dem Premiumversand anbietet, oder Billa mit dem „Lieferpass“.

Für Abholungen an den Tagesrandzeiten, Feiertagen und nachts sind eigene Abholstationen eine gangbare Lösung, selbst für Tiefkühlprodukte. Der Druck, kostengünstige Varianten zu finden, um die Kundenwünsche zu erfüllen und trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben, ist enorm.

Kunden wollen wählen.
Nicht nur die Sortimentsauswahl beeinflusst das Kaufverhalten der Online-Shopper, sondern auch die Versandoptionen. Wie eine Umfrage des Marktforschungsinsitutes Kantar TNS, die beinahe zeitgleich mit der Omnichannel-Studie durchgeführt wrude, zeigt, halten europaweit 72 % der Käufer in einem Onlineshop es für wichtig, im Moment der Kaufentscheidung zu wissen, wer der Paketdienstleister ist.

Unterschiedliche Optionen bei der Zahlungsweise gehören schon lange zum Standard bei Online-Präsenzen, warum also nicht auch den Paketdienstleister selbst auswählen? Schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit dienen hier oft als Katalysator, um sich für oder gegen einen Paketdienst zu entscheiden. Die Möglichkeit, den Lieferweg dann zu verfolgen – beispielsweise via App – ist ein willkommenes Extra. Bei manchen Anbietern kann man den Weg nicht nur verfolgen, sondern auch Änderungswünsche hinsichtlich der Zustelladresse einfließen lassen.

Persönlicher Kontakt vs. Onlinebewertung.
Wer kennt sie noch, die kleinen Geschäfte, in denen die Kunden einzeln beim Namen begrüßt werden? Der direkte, persönliche Kontakt schuf eine Kundenbindung, die oft viele Jahrzehnte überdauerte. Während der intensive Kundenservice in manchen Branchen eine Renaissance erlebt, hat die Mundpropaganda als Werbeträger ebenfalls online Konkurrenz bekommen: Bewertungen. Bewertungsportale und Preisvergleichsplattformen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, da die Waren online weder probiert noch angefasst werden können.

Eine neutrale Rezension eines Menschen, der das gewünschte Produkt schon gekauft hat und über seine Erfahrungen berichtet, schafft Vertrauen und beeinflusst nachweislich das Kaufverhalten. Die Jagd nach der 5-Sterne-Bewertung hat daher eigene Berufsbilder geschaffen. So sind nicht nur Horden von Mitarbeitern damit beschäftigt, Anfragen zu beantworten und negative Kritik zu entkräften, auch Betrüger haben eine lukrative Einnahmequelle gefunden – Stichwort gekaufte Bewertungen.

Besonders bei Hotel- und Restaurantbewertungen wird viel getrickst, aber auch Produktbeschreibungen spiegeln nicht immer objektive Erfahrungen wider. Da viele Online-Käufer sich vor Bestellungen die Bewertung eines Händlers ansehen, liegt es natürlich in dessen Interesse, möglichst positive Erfahrungsberichte über sich im Internet zu wissen.

Wesentliche Kriterien hierfür sind – neben der Qualität des Produktes oder der Dienstleistung – Geschwindigkeit bei der Beantwortung von Anfragen und Lieferung, der Umgang mit Reklamationen und die Benutzerfreundlichkeit im Hinblick auf das gesamte Einkaufserlebnis. Genau wie reine Onlinehändler müssen auch stationäre Händler mit Online-Präsenz den Kunden ein möglichst komfortables Einkaufen und Kommunizieren ermöglichen.

Logistische Meisterleistungen gefragt.
Das anhaltende Wachstum von eCommerce und OmniChannel stellt die Logistik vor große Herausforderungen. Das betrifft nicht nur Nachschubplanung und Lagerlogistik bei den Händlern, sondern natürlich auch die Transportlogistik, die neben den Bestellungen auch die Retouren effizient meistern soll. Am 4. eCommerce Logistik-Day am 25. September in der Wiener Albert Hall werden genau diese Problematik und Zukunftserwartungen thematisiert. Experten aus der Logistik und dem Einzelhandel suchen effiziente urbane Logistik-Konzepte und technische Lösungsansätze – wie beispielsweise Robotik – um die veränderten Anforderungen der Logistik von morgen erfüllen zu können. (RED)

Quelle: Zeitschrift LOGISTIK express Ausgabe 3/2019

 

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